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Sichelmond vor grauem Nachthimmel

Was ist Yoga heute?

Aktualisiert: 5. Juli 2022

Ist diese Frage noch notwendig, nachdem Yoga inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist? Der Yoga-Boom hat unzählige neue Yoga-Stile hervorgebracht und dieser Trend scheint ungebrochen. Und mit online-Yoga hat die Digitalisierung auch die Möglichkeiten der Vermittlung noch einmal erweitert. War Yoga zu Zeiten der Upanishaden noch das Bestreben des Menschen sich als Teil der Natur zu begreifen und seinen Platz darin zu definieren, bedeutete Yoga etwas später in der Bhagavadgita die Fähigkeit zur Hingabe an etwas Größeres oder Höheres. Im Yogasutra wiederrum wird Yoga als besonderer Zustand des Geistes und/oder Gemüts definiert und in der Hatha-Yoga-Pradipika als Anstrengung oder Ausgleich der Gegensätze in uns. Heute, 700 Jahre später, wird Yoga dann in weiten Bereichen der Gesellschaft als Sport verstanden, mit dem Potenzial zur Selbstoptimierung und zu ganzheitlichem Wohlbefinden.

Sprache im Fluss

In größeren Zeitabschnitten betrachtet unterliegt jeder Sprachgebrauch Veränderungen. Begriffe finden dabei dem Zeitgeist entsprechend andere Verwendungen und hieraus ergeben sich Bedeutungsverschiebungen. Solche Veränderungen im Sprachgebrauch können den Dynamiken einer gesellschaftlichen Entwicklung zugeordnet werden und dementsprechend als „äußere“ Einflüsse bezeichnet werden. Nennen wir sie Veränderungen eines kollektiven Sprachgebrauchs. Gesellschaften werden wiederum durch Individuen gebildet, was nicht bedeutet, dass die Dynamik kollektiver Veränderungen dem Individuum notwendigerweise bewusst ist.

Sprache und Wirklichkeit

Was wären dementsprechend also die „inneren“ Einflüsse für eine Veränderung des Sprachgebrauchs? Und wie sieht das aus der Sicht der Yogaphilosophie aus? Was lässt sich hierzu über die oben genannten Bedeutungsverschiebungen in Bezug auf den Begriff Yoga sagen? Durch Sprache und Erfahrung erlangen wir Wissen. Durch Wissen gestalten wir Sprache. Begriffe bekommen hierdurch Bedeutungen bzw. Bedeutungsfelder. Wir können davon ausgehen, dass jeder Mensch zu einem bestimmten Begriff mindestens ein abstraktes Bild in sich trägt. Dieses Bild wird zum einen durch den jeweils etablierten Sprachgebrauch als auch durch die Erfahrungen geprägt, die der Mensch mit diesem Begriff gemacht hat und macht. Zur Erinnerung, um beim Begriff Yoga zu bleiben, ist Yoga heute in weiten Bereichen der Gesellschaft eine durch asanas geprägte körperliche Aktivität mit besonderen zusätzlichen Potenzialen. Aber welche sind das denn nun genau?

Was prägt unsere Vorstellung von Yoga?

Entsprechend der Yogaphilosophie im Yogasutra, haben wir als Menschen eine individuelle Wahrnehmung, geprägt von Wünschen, Vorstellungen, Vorlieben, Abneigungen und Ängsten, um nur einige zu nennen. Was wir erfahren und wahrnehmen ist im Alltagsbewusstsein kontinuierlich von diesen inneren Aktivitäten unseres Gemüts überlagert. Um zu einer neutraleren Wahrnehmung zu kommen, müssen wir uns dieser (inneren) Aktivitäten unseres Gemüts bewusstwerden und diese zudem in ihrer Dynamik besänftigen. Im Alltagsbewusstsein unterliegt unser Umgang mit Sprache also einer mindestens zweifachen Verzerrung: dem kollektiven Sprachgebrauch einerseits und den Verzerrungen in unserer Wahrnehmung andererseits. Das was wir also jeweils unter Yoga verstehen hat oftmals mehr mit dem zu tun, was uns vorgelebt wird und was wir uns wünschen bzw. was wir ablehnen als die eingangs genannten Bedeutungen aus den Quelltexten.

Yoga jenseits von asanas

Ganzheitliches Wohlbefinden bedeutet diesen Quelltexten entsprechend herauszufinden, wo der eigene Platz in dieser Welt ist und sich zu bemühen, diesen annehmen zu können. Hierzu ist es notwendig die inneren Dynamiken des Menschseins zu erfahren und sich bewusst zu machen und dies bedeutet wiederrum Anstrengung – auf allen Ebenen unseres Systems. Die asana-Praxis war ursprünglich nur Mittel zum Zweck, sie sollte den Körper auf pranayama und schließlich die Meditation vorbereiten. Ebenso waren erhöhte Widerstandskraft und gesteigertes Wohlbefinden nur erfreuliche „Nebenwirkungen“ eines ganzheitlich angelegten Übungsweges. Das klingt alles nicht nach Selbstoptimierung und/oder Selbstgefälligkeit. Das klingt eher nach Fragen wie: Wer bin ich wirklich? Wie bin ich zu der Persönlichkeit geworden, die ich momentan bin? Und welche Potenziale schlummern (noch) in mir?

Yoga als Selbststudium

Für die Anwendung des Übens von Yoga bedeutet dies, wie übe ich mich im Umgang mit der Welt einerseits und mit mir selbst andererseits. Konkret heißt das, gehe ich mit mir und meinem Körper so um wie es die Gesellschaft vorgibt bzw. erwartet oder wie es für meinen Körper stimmig ist. Das gleiche gilt für den Atem und das Gemüt. Ganzheitliches Wohlbefinden meint somit entsprechend den überlieferten Bedeutungen des Begriffs Yoga eher ein Erforschen der eigenen Grenzen und Möglichkeiten, wofür es keine direkte Orientierung im Äußeren gibt. Jeder Mensch kann das nur für sich selbst herausfinden (mit Begleitung einer Lehrperson) – das ist Yoga. In Indien gilt der Vollmond als Symbol für das ganzheitlich angelegte Übungssystem Yoga. Dementsprechend würden aktuelle Trends, als Teilbereiche dieses Systems, eher durch den Sichelmond repräsentiert, um bei diesem Bild zu bleiben. So gesehen lohnt es sich weiterhin Ausschau nach dem Vollmond zu halten. Dies gelingt auch heute noch, wenn wir uns im positiven Sinne erlauben, über unsere Vorstellungen hinauszuwachsen.

Jürgen Slisch, Gelnhausen, 04.07.2022.

Im nächsten Blog-Beitrag geht es um die Frage: Yogatherapie – ein echtes therapeutisches Verfahren?

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