Aktualisiert: 11. April 2020; 16:30 Uhr
Dieser Blog-Beitrag ist der dritte Teil unserer Serie zu asana, pranayama und … Meditation. Meditationserfahrungen sind sehr subtil und individuell. Wie nähert man sich also theoretisch diesen feinen Bewegungen unseres Geist-Gemüt-Komplexes ohne sie zu zerreden beziehungsweise vielmehr zu „zerschreiben“ und ohne zu viele weitere Bewegungen (vrttis) zu generieren?
Patanjali macht im Yogasutra wenige konkrete Angaben zur Meditation. Dafür benennt er aber die Qualität des Meditationsprozesses. Patanjali gibt uns für die Meditation zwei zueinander gehörende Begriff an die Hand: eka und agrata. Eka bedeutet im Sanskrit eins und agrata Punkt oder Linie – also ein Thema: Methode und Ziel des Meditationsprozesses (samyama) bestehen demnach aus der Fokussierung auf ein Meditationsobjekt beziehungsweise der Führung des Geistes aus der Zerstreuung in die Sammlung.
Den Übergang vom Alltag zur Meditation gestalten
Die Fokussierung des Geistes kann in dieser schnelllebigen Zeit sehr hilfreich sein und ist andererseits gerade deswegen auch besonders herausfordernd. Unser Alltag bietet nämlich zahlreiche Ablenkungs- und Zerstreuungsmöglichkeiten. Gleichzeitig kann eine Fokussierung oder temporäre Umkehr der Sinnesaktivitäten nach innen äußerst wohltuend sein, um citta – unseren Geist-Gemüt-Komplex – zu regenerieren.
Für diesen Wechsel vom Alltag zur Meditation ist die asana-Praxis mit atemgeführten Bewegungen hilfreich. Die Übungspraxis bereitet den Körper auf die Meditationshaltung vor und beruhigt durch den geführten Atem die Sinne. Durch die Verbindung von Körper und Atem in der Traditionslinie Krishnamacharya / Desikachar / Sriram bekommt der Geist gleichzeitig eine erste Aufgabe.
Nicht denken – funktioniert nicht
Hiermit kommen wir gleich zu einem wichtigen Punkt beim Thema Meditation, nämlich der Aufgabe, die wir unserem Geist währenddessen geben. Unser citta definiert sich über Bewegung. Nehmen wir unseren Meditationssitz ein und versuchen nichts zu denken, dann funktioniert dies mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht. Unser Geist-Gemüt-Komplex beginnt zu rebellieren, weil wir ihn seinem Naturell berauben möchten. Das Resultat davon ist das genaue Gegenteil von innerer Stille.
Dem können wir vorbeugen, indem wir citta eine Aufgabe geben. Sei es der Fokus auf den Atem oder ein Mantra – es gibt viele mögliche Meditationsobjekte. Wichtig bei der Auswahl sind Interesse und Begeisterung für den gewählten Fokus. Außerdem sollte das Meditationsobjekt nicht unnötige weitere Bewegungen in unserem Geist generieren – Stichwort „Meditationsmusik“, Meditationsapps & Co.
Leiten wir Meditation im Gruppenunterricht an, so ist der Fokus auf den Atem für viele passend und erfahrbar und somit gut geeignet. Die meisten Meditationsobjekte sind mit einem Weniger assoziiert. Es gibt aber auch Meditationsansätze, welche sich über die Fülle definieren, beispielsweise der Kaschmirische Shivaismus. Welchen Fokus wir wählen, hängt also auch von individuellen und kulturellen Unterschieden ab.
Meditation bedeutet Loslassen
Neben der bereits angesprochenen Regeneration unseres Geistes während der Meditation, gibt es einen weiteren positiven Effekt. Meditation lehrt uns ein aktives Loslassen – etwa das Loslassen von Anhaftung an unsere Gedanken, die ganz natürlich immer wieder in unserer Meditationspraxis auftauchen. Im Sanskrit steht das Wort dhyanam für Meditation, es bedeutet stilles Reflektieren. Interessant ist, dass es im Sanskrit lediglich das Substantiv dhyanam gibt und kein entsprechendes Verb. Dhyanam als siebtes Glied des achtgliedrigen Pfades auf dem Yoga-Übungsweg von Patanjali kann nicht aktiv herbeigeführt werden – es ist ein Zustand, der sich einstellt.
Meditation bedeutet auch Hingabe
Wir können uns lediglich immer wieder den Übungen zur Meditationserfahrung hingeben, am besten unter Anleitung einer Lehrperson. Dabei helfen uns abhyasa, beharrliches Üben, und vairagya, Gelassenheit. Somit kann sich der Zustand eines stillen Reflektierens einstellen. Wenn wir den Meditationszustand aber nicht aktiv herbeiführen können, warum sprechen wir dann von einer aktiven Pause für den Geist? Weil wir während der Meditation einen klareren Zustand unseres Geistes anstreben, welcher – auch wenn wir ihn nur bis zu einem gewissen Punkt aktiv herbeiführen können – keinesfalls mit einem schlafähnlichen Zustand verwechselt werden sollte. Wir sind wach und präsent, aber haften nicht an Gedanken, die aufkommen. Man könnte diesen Prozess auch als eine Art Umschalt-Training für den Geist bezeichnen. Von diesem Umschalten beziehungsweise Loslassen können wir im Alltag Gebrauch machen, beispielsweise wenn wir uns von einer Gedankenschleife lösen möchten.
Damit sind wir am Ende unserer Blog-Serie zu asana, pranayama und Meditation angelangt. Unsere nächsten Blog-Beiträge behandeln wichtige Grundlagentexte des Yoga, von den Upanisaden über die Bhagavadgita und das Yogasutra des Patanjali, bis hin zur Hatha-Yoga-Pradipika.
Melanie Klingler und Jürgen Slisch, Gelnhausen, 11.04.2022.