Nachdem uns Dagmar im letzten Blog-Beitrag eine gute Übersicht zum Thema Ayurveda gegeben hat, schauen wir in diesem Beitrag Yoga und Ayurveda gemeinsam an. Was haben die beiden Systeme miteinander zu tun? Warum kann es für Yoga-Praktizierende hilfreich sein, etwas über Ayurveda zu wissen und umgekehrt? Nach diesem theoretischen Teil folgt ein Review zu einem aktuellen Film, welcher sich ebenfalls mit Yoga und Ayurveda beschäftigt.
Der Ursprung von Yoga und Ayurveda
In Indien existieren seit Jahrtausenden mehrere philosophische Systeme, als darsans bezeichnet. Das Wort darsan bedeutet im Sanskrit Spiegel. Diese Bezeichnung ist klug gewählt, denn philosophische Systeme dienen uns als Spiegel für uns selbst. Ayurveda und Yoga basieren beide auf dem darsan der samkhya-Philosophie. Nach dieser Philosophie existiert eine Urmaterie, welche das Potential zur Schöpfung, Entfaltung und Entwicklung enthält. Aus diesem Schöpfungsprozess resultieren zwei Grundprinzipien: purusa (wahrnehmendes Prinzip) und prakrti (bewegtes Prinzip, Natur). Prakrti, also alle Erscheinungen in der Natur inklusive uns Menschen, setzt sich in jedem Wesen individuell aus drei Eigenschaften, den gunas, zusammen: sattva, rajas, tamas. Sattva kann mit klar, licht oder rein übersetzt werden. Rajas ist das Prinzip der Bewegung, verbunden mit Leidenschaft und Hitze. Tamas ist das ruhende Prinzip. Diese drei Eigenschaften in Balance zu halten, ist das Ziel von Yoga und Ayurveda, wobei sattva für die Balance verantwortlich ist.
Neben den drei gunas sind auch die fünf Elemente Äther, Luft, Wasser, Feuer und Erde Bestandteil der samkhya-Philosophie. Die fünf Elemente bilden die Grundlage für die Typenlehre im Ayurveda und die Chakren- bzw. Prana-Vayu-Lehre im Yoga. Die fünf Elemente finden sich sowohl im Mikrokosmos als auch im Makrokosmos.
Wie Yoga und Ayurveda sich gegenseitig unterstützen
Yoga und Ayurveda sind beides in sich stimmig funktionierende Systeme. Wegen der gemeinsamen Grundlage und der ganzheitlichen Anschauung des Menschen, welche in beiden Systemen essentiell ist, können sich Yoga und Ayurveda sehr gut ergänzen.
Ein Beispiel hierfür sind die täglichen Routinen, welche Ayurveda empfiehlt. So sollte man laut Ayurveda den Tag mit positiven Gedanken beginnen, ein Glas warmes Wasser zur Anregung der Darmtätigkeit trinken und den Körper reinigen. Danach werden Yogaübungen empfohlen. Und auch am Abend sollten nach einem leichten, warmen Essen und einem Abendspaziergang Yogaübungen und Meditation folgen. Yoga ist also Bestandteil einer nach ayurvedischen Prinzipien ausgerichteten Tagesroutine. Umgekehrt profitieren wir im Yoga von einer gesunden und typgerechten Ernährung nach ayurvedischen Prinzipien. Eine ausgewogene Ernährung führt dazu, dass wir uns gleichzeitig leicht aber dennoch gestärkt fühlen – eine gute Voraussetzung für das Praktizieren von asanas, welche eine gute Basis für pranayama und Meditation bilden. Die Yogapraxis wiederum stärkt agni, unser Verdauungsfeuer, so dass wir die Nahrung besser verdauen können und unsere Gewebe kraftvoll und gesund sind.
Damit Prana im Fluss bleibt
Insgesamt führt die stimmige Anwendung von Yoga und Ayurveda dazu, dass unser System in Balance bleibt, beziehungsweise wieder zur Balance zurück gelangt, sollte diese verloren gegangen sein. Yoga tut dies mit den „Werkzeugen“ von asana, pranayama und Meditation – immer angepasst an den jeweiligen Menschen. Im Ayurveda stehen eine typgerechte Ernährung und die Etablierung von Routinen, sowohl auf die Tageszeiten bezogen als auch auf den Jahreslauf, im Mittelpunkt. Dabei können beide Systeme voneinander profitieren und uns bei der Gesunderhaltung unterstützen.
Dadurch bleibt prana – unsere Lebensenergie – idealerweise in einem stimmigen und harmonischen Fluss. Somit ist prana neben dem gemeinsamen theoretischen Hintergrund das Bindeglied zwischen Yoga und Ayurveda. Und damit beginnt auch der Film „Annapakta – One Who Can Digest Food | Yoga and Ayurveda, Science of Life” von Rajele Jain.
Ein Film über die Verbindung von Yoga und Ayurveda
Pranamaya ist die zweite Ebene des menschlichen Systems im Panca-Maya-Konzept, welches R. Sriram zu Beginn des Dokumentarfilmes erläutert. Basierend auf diesem Konzept aus den Upanishaden spannen Sriram und Anjali den Bogen zur Fragestellung „Was ist Yoga?“. Die Traditionslinie von Krishnamacharya / Desikachar wird aufgegriffen, ebenso wie die Bedeutung der Lehrer-Schüler-Beziehung im Yoga. In dem Film geht es auch wiederholt um die Bedeutung von Wissen und Wissenschaft. Dabei stellt der Film die Betonung von Trennung oder Abgrenzung als eine Eigenschaft der westlichen Wissenschaftssysteme dar. Im traditionellen indischen Verständnis sind Yoga und Ayurveda zwar zwei separate Systeme, die aber natürlicherweise durch ihren Hintergrund und das ganzheitliche Menschenbild verbunden sind.
Die renommierte Ayurveda-Expertin Dr. Vinod Verma, die sowohl in der traditionellen ayurvedischen Lehre zu Hause ist als auch in der westlichen Medizin, erklärt die Bedeutung von Ayurveda. Sie betont, dass Ayurveda als Wissenschaft vom Leben die Gesundheit und Gesunderhaltung im Sinne der Prävention stärker im Fokus habe als Krankheiten. In einem Kommentar Vermas zur Prävention zeigt sich das Zusammenspiel von Yoga und Ayurveda: „Vorbeugen ist getan, mit der Art, wie du lebst, der Art, wie du denkst, wie du atmest, wie du schläfst, es ist jeden Moment.“ Dazu gehören eine ausgewogene typgerechte Ernährung und Tagesroutine, ausreichend Bewegung, ein gesunder Atem … und hierzu liefern Yoga und Ayurveda wertvolle Impulse, basierend auf einem seit Jahrtausenden existierenden System. Daneben beleuchtet der Film auch kritisch die Rolle der westlichen Medizin und Wissenschaft. Wer jetzt neugierig geworden ist, kann den Film in englischer Sprache mit deutschen Untertiteln unter diesem Link ansehen.
Melanie Klingler, Gelnhausen, 03.10.2022.
Im nächsten Blog-Beitrag widmen wir uns dem Thema „Yoga in der Lebensmitte“ und führen damit die Artikel-Serie über Yoga in den verschiedenen Lebensphasen weiter, welche mit „Yoga in der Schwangerschaft“ begonnen hat.